OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.10.2022 – 12 MS 188/21
1. Einleitung
Die Genehmigung und der Bau von Windenergieanlagen stellen sich aus den vielfältigsten Gründen als komplex und langwierig dar. Einer davon ist sicherlich die Vereinbarkeit eines solchen Bauvorhabens mit den Belangen des Denkmalschutzes. Nach § 8 S. 1 Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz (NDSchG) dürfen in der Umgebung eines Baudenkmals Anlagen nicht errichtet, geändert oder beseitigt werden, wenn dadurch das Erscheinungsbild des Baudenkmals beeinträchtigt wird.
Um gleichwohl die Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung nicht von vornherein auszuschließen, hat der niedersächsische Landesgesetzgeber in § 8 S. 3 NDSchG einen Verweis auf § 7 NDSchG aufgenommen. Nach dessen Abs. 2 ist ein Eingriff zu genehmigen, soweit ein öffentliches Interesse anderer Art, zum Beispiel der Einsatz erneuerbarer Energien das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Kulturdenkmals überwiegt und den Eingriff zwingend verlangt.
Mit der nach wie vor durchzuführenden Abwägung der widerstreitenden Interessen des Ausbaus und der Nutzung erneuerbarer Energien einerseits und dem Denkmalschutz andererseits, hat sich das OVG Lüneburg in seinem Beschluss vom 12.10.2022 (12 MS 188/21) auseinandergesetzt.
2. Ausgangslage
Die Prozessbeteiligten streiten (erneut) um die sofortige Vollziehbarkeit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Gegen diese Genehmigung legte eine nach § 3 UmwRG rechtsfähige und bundesweit anerkannte Umweltvereinigung Widerspruch ein. Mit Beschluss vom 21.04.2022 hat das OVG Lüneburg die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs angeordnet.
Begründet hat das Gericht diesen Beschluss unter anderem damit, dass das öffentliche Interesse am Einsatz erneuerbarer Energien das Interesse am unveränderten Erscheinungsbild des betroffenen Kulturdenkmals zwar grundsätzlich überwiege, dies jedoch in aller Regel dort nicht gelte, wo Kulturdenkmale in ihrem Erscheinungsbild erheblich beeinträchtigt würden. Die Errichtung einer Windenergieanlage, die immerhin nicht ortsgebunden sei, könne auch andernorts geschehen, womit die Errichtung an einem bestimmten, tendenziell denkmalwidrigen Standort schon nicht erforderlich und erst recht nicht verhältnismäßig im engeren Sinne sei.
Die Beigeladenen, darunter auch die aktuelle Vorhabenträgerin, beantragen nunmehr, diesen Beschluss in eine Versagung vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80a Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 7 S. 2 VwGO abzuändern. Dies stützen sie auf die zwischenzeitliche Änderung des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes vom 28.06.2022. Das zuvor in § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 NDSchG enthaltene Tatbestandsmerkmal, wonach der Eingriff in den Denkmalschutz zur Nutzung von erneuerbaren Energien zwingend erforderlich sein müsse, wurde nunmehr vom Gesetzgeber entfernt.
3. Die Entscheidung im Detail
Ungeachtet der oben beschriebenen Neufassung des § 7 NDSchG, hält das Gericht den Antrag zwar nach wie vor für unbegründet, jedoch stünden dem Vorhaben nunmehr keine Belange des Denkmalschutzes entgegen.
Die gilt zunächst einmal auf Grundlage des § 8 S. 1, 3 i. V. m. § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, S. 2 NDSchG. Es sei zwar unverändert davon auszugehen, dass die Errichtung der Windenergieanlage voraussichtlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Baudenkmals führe, allerdings habe der Landesgesetzgeber durch die Novellierung des § 7 NDSchG bewirkt, dass in der Regel einem entsprechenden Vorhaben entgegenstehende Belange des Denkmalschutzes überwunden würden.
Wo der vorangegangenen Fassung des § 7 NDSchG noch eine dreistufige Abwägungssystematik mit dem Erfordernis der zwingenden Erforderlichkeit auf der dritten Stufe zugrunde lag, sieht die Neufassung nunmehr nur noch eine zweistufige Abwägung vor. Nach wie vor aber nicht vorgesehen, ist im Rahmen der Abwägungsprüfung eine Abwägung mit einem behördlichen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum. Vielmehr ist eine lediglich nachvollziehende Abwägung als Grundlage der in § 10 Abs. 1 Nr. 4 NDSchG vorgesehenen behördlichen Entscheidung vorzunehmen.
Dabei ist die dogmatisch richtige Interpretation des § 7 Abs. 2 S. 2 NDSchG, wonach das öffentliche Interesse an der Errichtung von Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien nach § 7 S. 1 Nr. 3 in der Regel überwiegt, wenn der Eingriff in das äußere Erscheinungsbild reversibel ist und in die denkmalwerte Substanz nur geringfügig eingegriffen wird, noch nicht geklärt.
Aus den Gesetzesmaterialien lasse sich diesbezüglich nur entnehmen, dass die Errichtung einer WEA in der Umgebung eines Denkmals, einen lediglich reversiblen Eingriff in das Erscheinungsbild darstelle, der den in § 7 Abs. 2 S. 2 NDSchG genannten Fällen des geringfügigen Eingriffs im Wege eines Erst-recht-Schlusses gleichgestellt werden muss.
Einerseits ließe sich die Norm als gesetzliche Vorgabe des Abwägungsergebnisses deuten, die den Abwägungsvorgang ganz erübrigt, wenn neben ihren beiden besttimmten Tatbestandsmerkmalen (Reversibilität des Eingriffs und geringe Eingriffsbetroffenheit der denkmalwerten Substanz) ein weiteres unbestimmtes Tatbestandsmerkmal, nämlich der durch Auslegung zu konkretisierende Regelfall vorliegt. Eine ergebnisoffene Abwägung würde dann nur noch in Ausnahmefällen stattfinden.
Andererseits könnte man die Vorschrift auch als gesetzgeberische Gewichtungsvorgabe für die nachvollziehende Abwägung interpretieren. Der Unterschied zur Vorgabe eines Abwägungsergebnisses läge dann darin, dass die Entscheidung in der Abwägung für oder gegen die Genehmigung der WEA nicht vom tatbestandlichen Vorliegen eines Regel- / Ausnahmeverhältnisses abhinge, sondern eine grundsätzlich ergebnisoffene Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall vorzunehmen wäre.
Das OVG Lüneburg neigt ausdrücklich zur letzteren Variante, da diese eine enge Verwandtschaft mit den aus dem Fachplanungsrecht bekannten Optimierungsgeboten aufweise und der Gesetzgeber zudem keine evidenten Kriterien für eine Abgrenzung von Regel- und Ausnahmefällen in § 7 Abs. 2 S. 2 NDSchG vornehme. Im vorliegenden Fall hat die genaue dogmatische Einordnung jedoch keine praktische Relevanz auf das Ergebnis gehabt.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beigeladenen wirkt sich die Neufassung des § 7 NDSchG zudem nicht dergestalt auf die Genehmigung von Windenergieanlagen aus, dass eine Berücksichtigung etwa vorhandener Planungs- oder Standortalternativen nicht mehr erforderlich ist. Die Berücksichtigung verschiedener Standortmöglichkeiten dränge sich schon bei der anzustrebenden Vermeidung von Beeinträchtigungen des Erscheinungsbildes eines Kulturdenkmals auf und ist damit Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Abwägungsentscheidungen. Was sich allerdings durch die Novellierung geändert hat, ist das Ausmaß der Fläche, in welcher vorhandene Standortalternativen nach bisherigem Recht zu Lasten einer WEA relevant werden konnten. Diese dürfte nun je nach Einzelfall kleiner zu bemessen sein.
Ebenfalls fehl geht die Rechtsauffassung des Antragstellers, wonach eine verfassungskonforme Auslegung des §§ 8 S. 3 i. V. m. 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, S. 2 NDSchG im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG geboten sei, nach der zu befürchtende erhebliche Beeinträchtigungen des Kulturdenkmals ein unausräumbares Genehmigungshindernis darstellten. Eine solche Einschränkung der (landes-)gesetzgeberischen Freiheit lasse sich auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entnehmen. Zwar müsse der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Genehmigung von Windenergieanlagen, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes eines Kulturdenkmals einhergehe, durch überwiegende Gründe des Gemeinwohls oder durch überwiegende private Interessen gerechtfertigt ist. Dies sieht der Senat jedoch durch die gesetzliche Neufassung als gewahrt an.
Das OVG Lüneburg stellt zudem klar, dass wenn ein solches Bauvorhaben nach den landesdenkmalrechtlichen Normen genehmigungsfähig ist, sich aus der Heranziehung des § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB nichts Anderes ergeben könne. Das BauGB gewährleiste durch diese Vorschrift lediglich ein Mindestmaß an bundesrechtlich eigenständigem Denkmalschutz und greife nur dort unmittelbar selbst ein, wo grobe Verstöße in Frage stehen. Über das Landesrecht hinausgehende Zulässigkeitsanforderungen ergäben sich hieraus nicht.
Letztlich scheiterte der Antrag jedoch daran, dass die Genehmigung nicht mit der nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i. V. m. §§ 29 Abs. 1, 35 Abs. 5 S. 2, 3 BauGB erforderlichen Sicherstellung des Rückbaus der Windenergieanlage durch entsprechende Nebenbestimmungen vereinbar ist, welche grundsätzlich mit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für solche Vorhaben einhergeht. Die vorgesehene Sicherheitsleistung nach §§ 232ff. BGB war zu gering angesetzt und berücksichtigte nicht die bis zum absehbaren Ende der Laufzeit der Anlage voraussichtlich eintretenden Preis- und Kostensteigerungen sowie die Kosten einer möglichen Ersatzvornahme zum Rückbau der Windenergieanlage.
4. Fazit
Aufgrund der Neufassung des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 NDSchG dürfte es sich lohnen, Vorhaben zur Errichtung von Windenergieanlagen, die bisher aufgrund entgegenstehender denkmalrechtlicher Belange nicht genehmigungsfähig waren, einer erneuten rechtlichen Prüfung zu unterziehen.